In Alpnach Dorf im Kanton Obwalden werden nicht nur Schränke gebaut, die den höchsten Qualitätsansprüchen genügen – sondern auch neue Standards gesetzt, was die betriebliche Integration und die Selbstbestimmung älterer Mitarbeitender betrifft. Ein Interview mit der CEO Brigitte Breisacher.

Um neun Uhr morgens ruhen die Maschinen in den Werkstätten der Alpnach Norm AG. Die Mitarbeitenden sitzen in Grüppchen zusammen und trinken Kaffee, essen den Znüni, überall wird gelacht. Brigitte Breisacher marschiert forschen Schrittes durch die Hallen, ruft ein «En Guete!» hier, ein «Hoi zäme!» da. «Hoi Brigitte!», kommt es zurück. Man duzt sich, sowieso dominiert ein sehr familiäres Gefühl in dieser Firma. Es könnte kaum anders sein – einige der Angestellten hier kennt Brigitte Breisacher, seit sie ein Kind war. 1966 wurde Alpnach Norm von ihrem Vater Theo Breisacher gegründet, sie stiess 1987 als Mitarbeiterin dazu und übernahm 2008 die Leitung. In den fast 55 Jahren ihres Bestehens wuchs die Firma auf rund 120 Angestellte – und die seien, sagt Brigitte Breisacher, ganz klar das Kapital des Unternehmens. «Er feiert morgen seinen Fünfzigsten», sagt sie und winkt jemandem am anderen Ende der Lagerhalle zu, «und gestern hatte noch jemand seinen fünfzigsten Geburtstag». Diese Zahl interessiert Brigitte Breisacher allerdings nur aus persönlichen Gründen – als Arbeitgeberin ist für sie das Alter keine entscheidende Kennzahl. Sie beweist in ihrem Betrieb, dass eine gute Mischung aus Jung und Alt allen zum Vorteil gereicht.

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In Ihrem Betrieb ist fast die Hälfte der Mitarbeitenden über 50 Jahre alt, deutlich mehr als der Schweizer Durchschnitt von ungefähr 30 Prozent. Wie kommt es?
Viele unserer Mitarbeitenden sind einfach schon sehr lange bei uns. Wir haben zum Beispiel eine Frau in unserer Buchhaltung, die hat mit 19 Jahren bei uns als Telefonistin gestartet und wird nächstes Jahr mit 64 pensioniert.

Gehen Sie auf veränderte Bedürfnisse ein und bieten Sie Massnahmen an, damit die Mitarbeitenden so lange wie möglich selbstbestimmt arbeiten können?
Ja, wenn sie 50 werden, führen wir mit allen ein Gespräch und fragen, ob der Arbeitsplatz für sie noch stimme. Ein Beispiel: Ein Produktionsleiter, der bei uns lange Jahre gearbeitet hat, sagte in diesem Gespräch, er würde seine Führungsaufgaben sehr gerne abgeben. Heute ist er unser bester Allrounder und mittlerweile 63 Jahre alt.

Gibt es auch die Möglichkeit, Stellenprozente zu reduzieren?
Ja, die gibt es natürlich, aber viele wollen das gar nicht. Mit 55 Jahren ist man heute noch nicht alt, da ist man wirklich noch voll im Saft.

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Brigitte Breisacher (53) trat der von ihrem Vater gegründeten Firma 1987 bei und übernahm 2008 die Leitung. Zur Unternehmensgruppe mit insgesamt 190 Mitarbeitenden gehören auch noch die Alpnach Küchen AG und die Zurag AG.

Wie kann ein Betrieb von älteren Mitarbeitenden profitieren?
Der riesige Vorteil an älteren Mitarbeitenden ist das Know-how, das Wissen, die Erfahrung, die Loyalität und auch die Einsatzbereitschaft. Wobei die Frage ja immer ist: Was ist «älter»? Bin ich mit 50 schon alt oder habe ich dann einfach eine gewisse Reife und Erfahrung, welche ich aktiv einbringen kann?

Gibt es auch Schattenseiten für Sie als Arbeitgeberin? Herausforderungen?
Eine Herausforderung ist sicher das Finanzielle – genauer die Pensionskasse. Und dann auch die Ferien, ältere Mitarbeitende haben mehr Ferien, sie fehlen öfter im Betrieb. Aber das wäre es dann auch schon. Gesundheitlich muss ich sagen, dass die älteren Mitarbeitenden fast belastbarer sind als die jüngeren. Wir hatten bei älteren Mitarbeitenden zum Beispiel noch nie einen Fall von Burnout, diese Gefahr besteht eher bei den jüngeren.

Es arbeiten verschiedenen Generationen zusammen – wie funktioniert das? Wird das von beiden Seiten geschätzt?
Ja, absolut. So ist der Wissenstransfer optimal. Es ist für uns sehr wichtig, dass wir pro Team auch immer wieder jüngere Neulinge haben. Das funktioniert sehr gut, wichtig ist, dass man miteinander spricht. Wir legen da einen starken Fokus drauf.

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Ich habe für meine Mitarbeitende immer eine offene Tür.

Würden Sie sagen, junge Mitarbeitende sind offener als ältere?
Ich glaube, es geht vielmehr um individuelle Eigenschaften, und die sind alterslos. Möchte jemand noch etwas Neues dazulernen, ist sie oder er offen und bereit, auch mal etwas zu verändern? Es wird immer wieder zum Thema, dass man über 55-Jährige nicht mehr anstellt, weil man glaubt, sie seien festgefahren. Das seien verknorzte Menschen – das stimmt doch gar nicht. Mit 50, mit 55 steht man mitten im Leben, man weiss, was man will, man weiss, was man kann oder eben noch nicht kann. Ich glaube, da muss man diese Menschen auch abholen.

Stichwort Fachkräftemangel: Ist das etwas, das Sie umtreibt?
Den spüren wir seit ungefähr zwei Jahren. Es ist keine einfache Situation: Viele Eltern wollen ihre Kinder auf Teufel komm raus zum Studieren bringen, weil sie glauben, nur so könne etwas aus ihnen werden. Das halte ich für falsch. Ich stehe hinter dem dualen Berufsbildungssystem – wir brauchen auch in Zukunft Malerinnen, Köche, Schreinerinnen und so weiter.

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Arbeiten bei Alpnach Norm auch Mitarbeitende über das Rentenalter hinaus?
Ja, das gibt es. Wir haben einen Mitarbeitenden, der ist 72 Jahre alt, ein Maschinist, der arbeitet immer noch vier Tage die Woche. Er sagt, solange ich Freude habe, es mir gefällt und gut geht, komme ich gerne arbeiten. Wir sprechen im Vorfeld schon relativ früh mit den Mitarbeitenden – hörst du früher auf, genau aufs Pensionsdatum, oder arbeitest du länger? Oder dürfen wir auf dich zukommen, wenn wir Ferienabwesenheiten haben? Wir haben diverse ehemalige Mitarbeitende immer wieder auf Projektbasis im Einsatz.

Warum arbeitet man so gerne bei Alpnach Norm?
Weil das Arbeitsklima stimmt. Wir sind eine Familienunternehmung – wir schauen zueinander. Ich sage unseren Mitarbeitenden auch persönlich danke, es gibt Glacés, wenn es heiss ist, oder regelmässige Grillfeste, es geht ja bei der Arbeit nicht nur um das Geld. Ich habe immer eine offene Tür – wenn sie mal persönlich oder privat ein Problem haben, sind wir für sie da. Ich glaube, das Leben besteht aus Geben und Nehmen. Und zuerst muss man halt geben, bevor man nehmen kann.

Wann werden Sie Ihre Businessoutfits endgültig in den Schrank hängen?
(Lacht) Oh, das dauert noch ein paar Jahre.

Video: Mattogrosso
Fotos: Lukas Mäder
Text: Michèle Roten

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